Über die Kunst der Zukunftsspekulation und die Cyborgs von heute – das #KUB20XX LAB Leipzig

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Über die Kunst der Zukunftsspekulation und die Cyborgs von heute – das #KUB20XX LAB Leipzig

1. November 2018

Am 30.10. startete die #KUB20XX-Veranstaltungsreihe mit dem ersten LAB in Leipzig. Unter dem Titel „Digital – Macht – Körper“ stellten sich die Designerin Dani Nikitenko und die Künstlerin Nadja Buttendorf mit Teilnehmenden aus Bildung, Kunst und Programmiertechnik Fragen nach Folgen der Digitalisierung auf Körperbild, Privatsphäre und gemeinsame Werte – und beantworteten sie künstlerisch-praktisch. Ein Blick hinter die Kulissen.

There is no future – speculate now!

Zukunft und Design seien immer spekulativ, so das Credo der Designerin Dani Nikitenko, die den Teilnehmenden des #KUB20XX LAB Leipzig Arbeiten von sich und Designer*innen der Neuen Industrialisierung unter dem Schirm Produktvermeidung präsentierte: Was benötigen wir als Gesellschaft wirklich? Müssen wir eigentlich noch neue Stühle produzieren oder gibt es schon genug? Nun, ein Stuhl aus Sand, Urin und Bakterien dürfte es schon sein: Wirft man ihn ins Wasser, löst er sich auf, verschwindet. Oder Kleidung, die aus Pilzen wächst. Das Thema Nachhaltigkeit prägt Design als Forschungsfeld des Experiments, bei dem Technologie und Digitalisierung die Mittel zum Zweck sind.

Und wie lässt sich über die Zukunft spekulieren, wenn unweigerlich die ganz großen Themen damit verknüpft sind und den Blick versperren? Mit einer Design-Methode half Dani Nikitenko der Gruppe auf die Sprünge: Nach einer suggestiven Sammlung von Begriffen zu Virtual Reality, Bildung, Körper und Tätigkeiten entwickelten die Teilnehmenden Was-wäre-wenn-Szenarien. Was wäre, wenn alle zur Uni gingen? Wenn Bildung digital für alle gleichermaßen zugänglich wäre? Wenn durch Tanz auch komplexe Themen wie Postdemokratie vermittelt würde? Diskussionen zur Umstrukturierung des Bildungssystems – Wenn alle die Theorie studieren, wer macht dann noch die Praxis? –, zur Qualität digitaler Bildung – Kann wirklich alles abgedeckt werden, was Bildung umfasst? Isolation statt Interaktion? – und tänzerischer Bildung entfachten.

Die Frau, der ewige Cyborg?

In den Arbeiten der Künstlerin Nadja Buttendorf stehen der Körper und die Auswirkungen der Digitalisierung darauf im Fokus. Ihre These: Die Körperform wird im Internet nur reproduziert und unterliegt dort bestimmten Regeln. So verändern bspw. Filter nicht nur Profilbilder, sondern wirken in die analoge Welt über: Die Snap-Chat-Hundenase ziert das Modelgesicht auf dem Catwalk. Die Online-Präsenz als Make-Up. Und ist das Smartphone nicht schon längst mit uns verwachsen, eine technische Prothese, ein Körperteil? Anhand von Beispielen wie LifeGlogging oder LifeCasting, wenn also ständig eine live-übertragende Kamera getragen wird, diskutierten die Teilnehmenden die Veränderung des Körpers durch Technik und verfolgten die technische Herkunft klassischer Schönheitsmaßnahmen wie Nagellack bis zu ihrem Ursprung in der Autoindustrie zurück. Nicht zuletzt: Ist die Frau, die sich in der Gesellschaft dieser Schönheitstechnologie seit jeher unterwirft, der Cyborg von heute?

Hands on? Nails on!

Den Gedanken folgten Taten und Selbsterfahrungen: Gebaut wurden ein Replikat einer „Geheim Camera“ von 1890 mit Smartphone-Einsatz und Smartphone-friendly-Nails, die keine Fingerabdrücke auf dem Display hinterlassen. Im Zentrum standen künstlerische Erfahrung und der Zugang zu Reflektion und Hinterfragung. Während die Geheimkamera Einblicke in die jüngste Technologiegeschichte gewährt und den Umgang mit Privatsphäre, Naivität und Betrug in den Vordergrund rückt, beweist der Alu-Nagel, wie sehr wir bereits unsere Körper aufrüsten, erweitern und uns in der vermeintlichen digitalen Zukunft bewegen. Kulturelle Bildung und Digitalisierung brennen buchstäblich unter den Nägeln.

  • Simone Schiffer

    Simone Schiffer

  • Johannes Tödte

    Johannes Tödte